Eine Baugrubensicherung mit einer kombinierten Unterfangung mitten in Zürich beschäftigt die Ghelma Spezialtiefbau AG bereits seit zwei Jahren. Der Umbau der drei Gebäude 75, 77 und 79 an der Bahnhofstrasse in Zürich ist wahrlich ein Schauplatz voller Spannung, Lärm und Faszination. Die GSTB bohrte Mikropfähle, die das Gebäude abstützen, und erstellte die Baugrubensicherung mit einer kombinierten Unterfangung.
Text: Kathrin Kunz, Ghelma AG Spezialtiefbau
Bilder: David Birri, Ghelma AG Spezialtiefbau AG
«Sieben bis acht Meter bauen wir in die Tiefe – und das unterhalb des bestehenden Gebäudes. Dies allein ist eine riesige Herausforderung», erzählt Marco «Gossi» Gossweiler, verantwortlicher Bauführer der Ghelma Spezialtiefbau AG (GSTB). «Hinzu kommt, dass eine Baustelle an dieser Lage zwangsläufig ein akutes Platzproblem hat.» So war kaum Raum für Installationen vorhanden. Die Positionierung der Geräte musste fast täglich neu durchdacht werden und schon nur das Zubringen von Beton erforderte stets neue Koordination, da nur eine Zufahrt möglich war. Am spektakulärsten, so erinnert sich Gossi, war das Installieren der GSTB-Bohrgeräte, die auf dieser Baustelle mit dem Kran über das offene Dach ins Gebäude hineingehoben wurden. Die Grossbaustelle ist mit Bauwandplatten komplett von der Aussenwelt abgeschirmt. Ohne Besucherbadge und Sicherheitsausrüstung kommt niemand an der Eingangskontrolle vorbei. Die Bretterwand trennt zwei Welten voller Gegensätze:
Die Zürcher Bahnhofstrasse gehört zu den exklusivsten und damit zehn teuersten Einkaufsmeilen der Welt. Im Hintergrund leuchten die Reklamen schicker Restaurants und Warenhäuser. Zürcherinnen und Zürcher mit Kaffeebechern und Taschen in der Hand eilen vorbei. Auf der anderen Seite das komplette Gegenteil: Baulärm, Schlamm und schwere Maschinen.
Mit Vorgaben des Denkmalschutzes
Bauführer Gossi besucht die Baustelle in der Regel am Dienstag. Durchschnittlich betreut er fünf bis acht Baustellen gleichzeitig. Ihm ist es wichtig, regelmässig bei seinen Teams vorbeizugehen, um zu spüren, wie es läuft. Im Baucontainer hinter der Abschrankung ist es eng und staubig, aber gemütlich warm. «Espresso?», fragt Vorarbeiter Francisco «Fränzi» Lopez. «Ja gerne.» Zuerst erklärt Gossi das neue Sicherheitskonzept, das er vom Auftraggeber erhalten hat. Dann erkundigt er sich bei Fränzi, wie es läuft. «Ja gsesch es ja», tönt es in Haslidialekt mit spanischem Akzent. «Zement, Ankermaterial?» fragt Gossi. «Heimer gnueg, alles da.» Es folgt ein kurzer Kontrollgang auf der Baustelle. Beim Projekt Bahnhofstrasse wird der Komplex aus drei Gebäuden sozusagen ausgehöhlt. 60 % der tragenden Gebäudestruktur bleiben erhalten. Dabei müssen die Vorgaben des Denkmalschutzes erfüllt werden. Historische Merkmale aus den 1920-er Jahren werden freigelegt und wiederhergestellt, um den ursprünglichen Charakter des Gebäudes zu zeigen. Die Fassade wird renoviert und der ehemalige Lichthof wieder eingebaut.
Vorgespannte Nagelwand mit Mikropfählen
Erdbebensicherheit und Brandschutz sowie Energieeffizienz sollen nach dem Umbau den heutigen Standards entsprechen. Hinzu kommt eine Erweiterung des Gebäudevolumens. Die GSTB arbeitet über die gesamte Zeitspanne innerhalb des Gebäudes in der Deckelbauweise. «Die Erweiterung erfolgt vertikal nach unten, also in den bestehenden Boden unter dem heutigen Gebäude», erklärt Gossi. In einigen Bereichen erreicht die Baustelle die Tiefe eines vierten Untergeschosses.
Aufgrund der Komplexität des Projektes und möglichen Optimierungen für Bauherren und Unternehmer wurde auch die Geotek AG mit einbezogen. Hanspeter Bodmer, Stv. Geschäftsleiter der Geotek AG, erstellte in der Offertphase eine Unternehmer- Variante für einen Teil der Baugrubensicherung. Hierbei konnten mit dem hauseigenen System «Vorgespannte Nagelwand mit Mikropfählen» (VNM®) Ankerlängen eingespart werden. Ein grosser Vorteil für den Bauherrn liegt vor allem in Einsparungen bei den Ankerkonzessionen. Zudem unterstützte die Geotek AG die Ingenieure des Auftraggebers bei der Gestaltung der Abfangtürme, welche das Gebäude beim Umbau abstützen. Sie bestehen aus Mikropfählen und Stahlträgern, die dazwischen montiert wurden. Auch für die Unterfangungen von Fassadenwänden wurden teilweise Mikropfähle erstellt. Die bestehenden Stützen wurden mittels einer Stahlkonstruktion befestigt und die gesamte Last darauf umgelagert.
Ein zusätzliches Untergeschoss
Die eigentlichen Aushubarbeiten für das zusätzliche Untergeschoss konnte das Team erst nach den Abbrucharbeiten angehen. Die Baugrubenabschlüsse für diese Baugrube innerhalb des bestehenden Gebäudes wurden speziell gesichert, zu einem Teil mit dem System GSTB-VNM® und zu anderen Teilen mit einer herkömmlichen Nagelwand oder als Unterfangung. Zurück zum Baustellenbesuch mit Bauführer Gossi: Eine halbe Stunde nach dem Espresso im Container ist er nun im «Jour fixe» mit Bauleitung, Auftraggeber und Ingenieur. Diskutiert werden die Abstimmung und Koordination der verschiedenen Arbeiten, der Faktor Zeit sowie heikle Punkte wie die Gebäudelast oder das Grundwasser. Unklar ist die Frage, ob das Grundwasser von unten oder von der Seite her am meisten drückt. Fakt ist: Unter keinen Umständen darf Wasser in die Baugrube laufen. Man diskutiert mögliche Lösungen, beispielsweise das Wasser abzupumpen oder Filterbrunnen einzusetzen. Nach der Sitzung folgt eine kurze Begehung der Baugrube. Es ist lärmig. Überall sind Arbeiter mit Abbruch, Armierungen oder Bohrungen beschäftigt, insgesamt sind rund 60 Bauleute gleichzeitig auf Platz.
Bagger, Schlamm und Lärm – eine Welt für sich.
«Die Luft ist ein zentrales Thema», erklärt Gossi. «Es gibt eine Belüftung, um die Zufuhr von frischer Luft in der Baugrube zu gewährleisten.» Das spannende an dieser Baustelle: Man fühlt sich nicht wie an der Bahnhofstrasse. Fast geht vergessen, dass das Leben der Zürcherinnen und Zürcher nur wenige Meter neben dieser eindrücklichen Baugrube ganz normal weiter geht. Am Abend fahren die Bauarbeiter meistensm um 17.30 Uhr zurück nach Meiringen, manchmal wird’s auch später, je nach dem, wann der Beton angeliefert wird. Wenn der Lastwagen mit dem Beton in Zürich im Stau steht, gibt’s natürlich Verzögerungen. «Normal auf dem Bau», heisst es. Eine derart komplexe Baustelle erfordert spezielles Verständnis von allen Seiten. Bauführer Marco Gossweiler unterstreicht die kollegiale Stimmung und das gute Klima. «Wir ziehen alle am gleichen Strick», freut sich Gossi. Dafür dankt er nicht nur den rund zehn Mitarbeitern der GSTB, sondern auch allen anderen Mitarbeitenden an der Bahnhofstrasse. «Ein solches Projekt wäre ohne detaillierte Planung und partnerschaftliche Zusammenarbeit nicht umsetzbar», ist er überzeugt. Die Eröffnung der Geschäftsräume ist auf das Weihnachtsgeschäft 2023 geplant. Ob Marco Gossweiler und Francisco Lopez vielleicht dann einen speziellen Einkaufsbummel nach Zürich unternehmen, steht derzeit noch in den Sternen.
Hintergrund zur Sanierung
Der Umbau an der Zürcher Bahnhofstrasse dauert insgesamt drei Jahre. Er soll 2023 abgeschlossen sein. Der historische Gebäudekomplex mit den Nummern Bahnhofstrasse 75, 77 und 79 wurde in den Jahren 1911 und 1912 erbaut und prägte die Entwicklung der gesamten Umgebung. Über lange Zeit hatte das Warenhaus Oscar Weber hier seinen Standort, danach zog Manor in die Räumlichkeiten ein. Ein Ladenlokal im Erdgeschoss wurde zudem länger als Apple Store genutzt. Der Umbau erfolgt im Auftrag der Bauherrschaft Swiss Life Holding AG. Unter dem Namen «Swiss Life Brannhof» entstehen neue Verkaufsräume für Läden, Boutiquen und Gastronomie. Ein Teil der Liegenschaft soll als Bürofläche genutzt werden.